Sportwissenschaft wird ins Depot verbannt

Wien (25.02.2025)m - Mag. Michael Wenzel

 

Abseits der bevorstehenden Regierungsbildung, wo – glaubt man den Medien - die Belange des Sports - schon gar nicht der Sportwissenschaften (Kompetenz liegt bei den Universitäten) - kaum Aufmerksamkeit genossen haben, der Neuwahlen des Präsidentenamts im Österreichischen Fußballbund (ÖFB) und Österreichischen Olympischen Comitẻ, wird still und leise der Sportwissenschaft in Wien der Boden unter den Füßen entzogen und die Fachbibliothek und dessen Bestand im Laufe des Jahres in das neu-errichtete Depot der Universität Wien in Floridsdorf verlagert. Nicht nur, dass das Olympiazentrum Wien auf der Schmelz, stillgelegt ist, wird auch den wichtigen Teilbereichen Sportpädagogik, Sportsoziologie sowie Sportgeschichte wenig Zukunft zugesagt.

 

Bewegungskulturelle Erbe von ganz Österreich geht verloren

 

Über 170 Jahre lang wurde der Bestand der Sportwissenschaftlichen Fachbibliothek (siehe am Ende zwei interessante Beiträge – ursprünglich im Haus des Sports sowie im alten Institut in der Sensengasse angesiedelt) aufgebaut. Als zweit-größte sportwissenschaftliche Fachbibliothek im deutsch-sprachigen Raum – nach der Zentralbibliothek der Sportwissenschaften der Deutschen Sporthochschule Köln – kann die Bibliothek auf unzählige Schätze der Turn- und Sportbewegung sowie der historischen und aktuellen Sportwissenschaft in Österreich verweisen. Dieses historische Gedächtnis geht nun als Bewegungskulturelles Erbe von ganz Österreich – als herzeigbares historisches Asset verloren. Die Absiedelung in das Depot in Floridsdorf bedeutet für alle Benützer:Innen eine massive Einschränkung in ihrer Arbeits- und Forschungstätigkeit. Zur Info: Ab 28. Oktober 2024 bis dato ziehen rund 2,7 Millionen Bücher der Universitätsbibliothek der Uni Wien in das Depot in der Siemensstraße in Floridsdorf um. 

 

Sportwissenschaften und Informationseinrichtungen – Neu gedacht 

 

Die Entwicklung der Sportwissenschaften vollzieht sich seit seinem Bestehen in enger Verschränkung mit einer sich herausbildenden Wissensgesellschaft. Sportwissenschaftliche Informationseinrichtungen (Fachbibliotheken, Fach-Dokumentationseinrichtungen) haben dabei eine Schlüsselfunktion inne.  

 

Die Ergebnisse des sportwissenschaftlichen Forschungsprozesses kommen nicht nur der Theorie und Praxis, dem Leistungs-, Breiten-, Gesundheits- sowie dem Schulsport, sondern auch der Politik und vielen Bereichen der Gesellschaft zugute. 

 

Ausgehend von den offiziellen Aufgaben der Universitätsbibliothek muss man daher die Aufgaben einer Fachbibliothek Sportwissenschaft des 21. Jahrhunderts neu denken und es als Chance sehen, diese als zukunftsweisende Einrichtung, als „Archiv, Bibliothek und Dokumentationsstelle Sportwissenschaft“ sehen. Ziel kann nicht eine Verbannung in das Depot, sondern muss eine kompakte sportwissenschaftliche Serviceeinrichtung für die österreichische Sportlandschaft (Universitäten, Akademien, Organisationen, Verbände sowie Medien) sein.

 

Die Aufgaben der Fachbibliothek SPORTWISSENSCHAFT als Archiv, Bibliothek und Dokumentationsstelle sollten somit umfassen: 

  • Die Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung aller für Forschung, Lehre und Studium erforderlichen Informationsträger, insbesondere des Standortes WIEN 
  • Die Bereitstellung, Weiterentwicklung sowie Digitalisierung der Bestände für Angehörige wissenschaftlicher Einrichtungen (Universitäten, Fachhochschulen, …) und für die sportwissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit und Partner (z.B. Sportakademien, USI, Einrichtungen und Institutionen des österreichischen Sports, …)
  • Die Vermittlung von Information unter Nutzung weltweiter Datennetze und Datenbanken einschließlich der Sicherstellung der Dokumentenlieferung 
  • Die Vermittlung von Informationskompetenz 
  • Die Pflege und Erschließung des wertvollen historischen Buchgutes in Zusammenarbeit mit Einrichtungen, Instituten und Verbände der österreichischen Sportlandschaft
  • Die Mitarbeit und Zusammenarbeit mit österreichischen und internationalen sportwissenschaftlichen Archiven, Bibliotheken und Einrichtungen
  • Sicherung und Pflege des sportwissenschaftlichen Outputs österreichischer Fachliteratur und Forschungsprojekte (insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft/BISP in Bonn, SURF, und den sportwissenschaftlichen Instituten in Graz, Salzburg und Innsbruck) 
  • Erstellung eines jährlichen Berichtes „Sportwissenschaftliche Fachliteratur und Forschungsprojekte in Österreich“

 

Beiträge: „Bücher teilen das Schicksal des Sports“ sowie „Vom Umgang mit russischen Offizieren“, In: Kessler, Josef (1999). Allgemeiner Sportverband Österreichs. ASVÖ 1949-1999, 50 Jahre für Österreich. Entstehung und Leistung für den Sport in Österreich. Wien: ASVÖ, Seite 24 sowie Seite 28-29 

 

Bücher teilen das Schicksal des Sports 

 

Auch Bücher und Zeitschriften, die vom Sport in Österreich bis 1938 berichten, sind Raritäten.  

 

Wie sich jeder Benützer der österreichischen Nationalbibliothek selbst überzeugen kann, sind von manchen Sportzeitungen der Fachverbände nicht mehr komplette Jahrgänge, sondern nur einzelne Nummern vorhanden. 

 

Große Erwartungen stellen daher die Sporthistoriker an das "Österreichische Sportjahrbuch". Das "1. Sport-Jahrbuch für Osterreich-Ungarn" wurde 1903 vom ersten österreichischen Olympiasieger Felix Adolf Schmal herausgebracht. (Schmal war 1896 in Athen Sieger im 12-Stunden-Radfahren (314,997 km) und auch 4. im Säbelfechten gewesen.) 

 

Die bescheidene, doch inhaltsreiche Broschüre, Preis 50 Heller, eröffnete den Reigen der Sportjahrbücher 1903 bis 1912. Zu den Modesportarten der Donaumonarchie, von denen damals darin berichtet wurde, zählten LAWN-Tennis, Bicycle-Polo, Cricket, Fechten, Fußball, Eissport, Golf, Landhockey, leichte und schwere Athletik, Ping-Pong, Radfahren, Ringkampf, Rudern, Schisport und Schwimmen. 

 

Eine Fortsetzung fanden die Sportjahrbücher in den Jahren 1932 bis 1937, als "Körpersportjahrbuch des Hauptverbandes" unter der Schriftleitung von Otmar Hassenberger und fachlicher Mitarbeit des damaligen Reg. Rates Hans Pfeiffer. Als Herausgeber fungierte zuletzt die "Österreichische Sport- und Turnfront". Die Seitenzahl stieg von 160 im Jahre 1932 auf 450 im Jahre 1937. Der Jahrgang 1938 war im März 1938 bereits druckfertig, seine Drucklegung wurde jedoch vom NS-Reichsbund verhindert.  

 

Nach der NS-Machtergreifung wurden die vormals österreichischen Sportverbände unter schärfsten Strafandrohungen angewiesen, ihre Sportbücher und Aktenarchive umgehend im "Haus des Sportes", Prinz-Eugen-Straße 12, im 4. Wiener Gemeindebezirk abzuliefern.  

 

Die "Riesenbeute" wurde in zwei Stockwerken gestapelt, aber infolge der Zeitumstände kaum ausgewertet. Sie wurde vor allem als "Fundgrube" für Beweismaterial gegen Funktionäre und Sportler benutzt, die bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) angezeigt worden waren. 

 

Über das weitere Schicksal dieses Sportarchivs wird später noch berichtet --> siehe nächsten Beitrag

 

Vom Umgang mit russischen Offizieren

 

Regierungsrat Franz Xaver Gfatter war von 1946 bis 1966 in der Abteilung Sport des Bundesministeriums für Unterricht beschäftigt. Er berichtete als Zeitzeuge folgende Episode: Nach Kriegsende war der Abteilung Sport bekanntgeworden, dass das "Haus des Sports" im vierten Bezirk, Prinz Eugenstraße 1.2, in eine Schule für Kinder sowjetischer Besatzungskinder umgewandelt werden sollte. Dem Vorhaben standen die großen Bestände der "Ostmark-Sportbibliothek des NS-Reichsbund für Leibesübung" im Wege (Siehe Abschnitt: Bücher teilen das Schicksal des Sports, oben) und sollten daher vernichtet werden.

 

Der damalige Leiter der Abteilung Sport, Hofrat Dr. Viktor Kollars, eilte mit seinem Referenten Reg.-Rat Gfatter in das Hotel "Imperial", dem Sitz der sowjetischen Stadtkommandantur. Sie wollten beim Stadtkommandanten General Alexej W. Blagodatow persönlich die Herausgabe der Sportbücher und Verbandsakten erwirken. Der General sträubte sich lange gegen die Erteilung einer solchen Bewilligung.

 

Nach seiner Meinung befänden sich in dieser "Sportbibliothek" auch Materialien für die militärische Jugenderziehung aus der NS-Zeit. Die Ministerialbeamten klärten den General über die Herkunft der Buchbestände aus einer Beschlagnahmeaktion des Jahres 1938 auf und konnten so mit größter Beharrlichkeit und Mühe die Befürchtungen des Stadtkommandanten zerstreuen. Er erteilte schließlich eine schriftliche Ausfolge- Genehmigung.

 

Voll Freude eilten die zwei Herren damit in das "Haus des Sportes". Der russische Verwaltungsoffizier misstraute jedoch dem vorgelegten amtlichen Schreiben seines obersten Vorgesetzten und verweigerte schroff die Herausgabe. Seiner Meinung nach hätte in einer so großen Sache General Blagodatow selbst kommen müssen.

 

Enttäuscht und voll hilfloser Wut wollten die beiden Bittsteller das Haus in der Prinz-Eugen-Straße schon verlassen. Da rannte ihnen der Major nach und rief: "Wenn sie bringen Reinigungsmaterial, dürfen sie drei Tage lang Bücher forttragen. Der Rest wird verbrannt!"

 

Nicht gerne, aber verständnisvoll, verstaute eine brave Putzfrau aus der Josefstadt auf Bitten der Ministerialbeamten die gewünschten Reinigungsmittel in zwei große Tragtaschen. Aus dem folgenden "Dreitagewerk" entstand der Grundstock der Sportbibliothek für die spätere Bundesanstalt für Leibeserziehung in Wien, Sensengasse 3, bzw. das Österreichischen Sport-Dokumentations- und Informationszentrums für Sportwissenschaften (ÖDISP) auf der Schmelz. Der legendäre Präsident des Leichtathletikverbandes, Amtsrat Wratschtil, konnte einige von ihm sehr gesuchten, gebundenen Jahrgänge des "Österreichischen Sport-Tagblatte" - mit Tränen in den Augen - in Empfang nehmen. Auch mehrere Exemplare der Sportjahrbücher 1932 bis 1937 wurden gerettet. Der Abtransport durch das hohe Stiegenhaus war äußerst schwierig und wurde immer wieder behindert. Nach Ablauf der eingeräumten Frist wurden tausende Bücher aus den Fenstern geworfen und im Hof verbrannt.

 

Das "Haus des Sportes" wurde 1957 dem Unterrichtsminister zurückgegeben und adaptiert, um ab 1958 zentrale Heimstätte für die Dienststellen der Abteilung Sport, der Bundessportorganisation, des Olympischen Comités und Zentralbüros vieler Fachverbände zu werden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die ministeriellen Sport-Dienststellen in der Blattgasse untergebracht.

 

Info (extra): Das Österreichische Dokumentations- und Informationszentrum für Sportwissenschaften (ÖDISP) wurde 1963 im Rahmen des Instituts für Leibeserziehung und der Bundesanstalt für Leibeserziehung in Wien gegründet und 2011 still und leise eingestellt. ÖDISP hatte die Aufgabe, alle Neuerscheinungen zu sammeln, zu sichten und aufzubereiten. Schon früh standen nationale und internationale Zusammenarbeit und Auswahldokumentationen – West und Ost – im Mittelpunkt der laufenden Tätigkeiten.

 

 

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